20
Putt, putt, putt, schöner Truthahntag!
Mickey hat Wort gehalten und mich boykottiert. Seit unserer kleinen Auseinandersetzung hat er nicht hier übernachtet, und ich habe ihn auch nicht eingeladen. Das geht jetzt fast seit drei Wochen so, und ich kann es kaum fassen, dass ich erneut die Tage zähle, seit ein Mann mich verlassen hat. Ich habe keine Ahnung, wie der Papierkram mit Mickeys Frau gelaufen ist. Ich fange allmählich an, mich an mein übergroßes, leeres Bett zu gewöhnen. Man hat viel Platz darin. Vielleicht ist es genau das, was ich brauche – Platz, um mich zu bewegen, ohne ständig gegen einen Mann zu rempeln.
Helen ist anderer Meinung.
Sie ist außer sich, als sie hört, dass Mickey sich morgens nicht länger in meine malvenfarbenen Handtücher hüllt. Das hat ihr natürlich Marcie verraten. Marcie mit dem großen Herzen und dem großen Plappermaul. Helen hat den Stier bei den Hörnern gepackt und Mickey zum Truthahnessen an Thanksgiving eingeladen.
Jetzt steht dieses wichtige Familienfest vor der Tür; durch mein Schlafzimmerfenster sehe ich den grauen Himmel und den morgendlichen Nieselregen. Ich liege unter der Decke und gehe in Gedanken die zahlreichen Gründe durch, warum der heutige Tag für Mickey und mich peinlich sein wird. Sein dunkelblauer Bademantel hängt noch immer am Haken meiner offenen Badezimmertür. Wie sollen wir uns nur verhalten?, frage ich mich im Bett und starre das Kleidungsstück an. Die hängenden Schultern bleiben unbewegt.
Mickey und ich sind rein technisch betrachtet nicht mehr zusammen – das hat sogar Milton gespürt und darauf reagiert, indem er wieder zwischen den Topffarnen und Rosensträußen in der Blumenecke hockt. Andererseits würde ich auch nicht sagen, dass wir uns getrennt haben. Wir nehmen eben nur eine Auszeit, wie Mickey es nennt. Seufzend ziehe ich die Decke höher hinauf. Milton und ich bleiben beide deprimiert.
Das Telefon klingelt ohne Unterlass. Ich vergrabe mich tiefer in meiner Martha-Stewart-Bettwäsche und beneide sie um ihre Zeit im Gefängnis. Dort hat man sie wenigstens in Ruhe gelassen. Der Apparat klingelt und klingelt. Voller Widerwillen schäle ich mich aus meiner Designer-Pelle und nehme ab.
»Soll ich deiner Mutter einen Pie oder so etwas mitbringen?«
Es ist Mickey, der sich Gedanken über ein Geschenk für die Gastgeberin macht. Ich merke, wie sich die Härchen an meinen Armen aufstellen. Es ist so leicht, das Falsche zu sagen, den falschen Ton zu treffen oder den falschen Eindruck zu hinterlassen, wenn man nicht weiß, ob der eigene Freund einen noch liebt.
»Ich glaube nicht«, antworte ich zurückhaltend. »Sie backt ihre eigenen Pies.«
»Ah. Dann vielleicht Blumen?«
»Lass mich nachdenken«, sage ich in dem Versuch, witzig zu sein. »Wie lange seid ihr schon zusammen, du und Helen? Drei Monate? Ja, Blumen wären genau das Richtige.«
»Sehr lustig«, sagt er. »Also, was soll ich dann mitbringen?«
Seine Stimme klingt wunderbar. Ich rufe mir in Erinnerung, dass er sich nicht wirklich von mir getrennt hat. Wir nehmen nur eine Auszeit.
»Etwas Süßes vielleicht? Oder eine Grünpflanze?«, schlägt er vor.
»Damit versorgt Pulkowski sie doch schon.«
»Ja, aber dieses Jahr fühlt er sich vielleicht nicht danach, etwas zu besorgen.«
»Es geht ihm gut.«
Ich habe ihn angeblafft. Jetzt klinge ich zickig. »Die Behandlung spricht sehr gut an«, versichere ich ihm. Natürlich ist das reine Erfindung. Es könnte auch sein, dass es Pulkowski schlechter geht. »Eine Flasche Scotch«, rate ich ihm. »Kauf ihr einen Chivas. Den liebt sie.«
»Chivas?«, fragt er. »Meinst du Chivas Regal?«
»Sie ist zu geizig, um ihn sich selbst zu kaufen. Sie kauft lieber irgendetwas Billiges und füllt es dann um in ihre leere Chivas-Flasche.«
»Diese Helen …«, sagt Mickey.
Ein kurzes, unangenehmes Schweigen entsteht.
»Freust du dich darauf, mich heute zu sehen?«, fragt Mickey dann.
»Helen freut sich sicher.«
Wieder Schweigen. Mein Scherz ist nicht angekommen. Doch was, wenn ich mich freue, ihn zu sehen, er sich aber nicht freut, mich zu sehen?
»Wir sehen uns später«, sagt Mickey.
Erschöpft lege ich auf. Ich muss noch duschen, mich schick machen und mir überlegen, wie ich es schaffe, glücklich auszusehen.
Im Bad blickt mir ein müdes Gesicht aus dem Spiegel entgegen. Ich sehe teigig und ein bisschen pummelig aus. Das hat mir Teddy angetan, oder vielleicht auch Mickey. Oder Helen. Der Feiertagsstress fordert seinen Tribut von meiner Haut. Ein schönes, langes Bad wird die Poren durchlüften.
Ich liege im Schaum und versuche, eine Möglichkeit zu finden, wie ich mein ganzes Leben ändern kann. Ich erinnere mich an eine Nonne, die uns unterrichtet und uns beigebracht hat, dass wir genau das könnten: die ganze Welt durch kleine Taten verändern. Sie selbst hatte es eines Tages getan, während wir an unseren Pulten saßen und Schönschrift übten. Mit dem Bleistift in der Hand hatte ich zugesehen, wie sie nacheinander die einzelnen Stationen des Kreuzweges herunternahm, die an den Wänden unseres Klassenzimmers hingen. Dann hatte sie einen kleinen Hammer aus den Falten ihrer Robe gezogen und angefangen, neue Nägel einzuschlagen; sie hatte die kleinen Tafeln in umgekehrter Reihenfolge aufgehängt. »Ich bin Linkshänderin«, hatte sie uns erklärt, als sie fertig war. »Indem ich diese Bilder in anderer Reihenfolge aufgehängt habe, habe ich die Welt ein kleines bisschen verändert.« Ich bleibe noch lange, nachdem der Schaum weg ist, in der Wanne liegen und denke darüber nach.
Schließlich fange ich an, mich für den Feiertag in Schale zu werfen. Zuerst trage ich Gesichtscreme auf. Dann fummele ich mit einer Kontaktlinse herum, die so dünn wie Zellophan und in meiner Hand fast unsichtbar ist. All diese Bemühungen nur aus dem einen Grund: Wie die meisten anderen Frauen hänge ich der Überzeugung an, dass ich eine komplette Versagerin bin, die vollkommen verdient, was ihr blüht, wenn sie nicht gewaltige Anstrengungen unternimmt, mehr aus sich zu machen. Einmal hatte ich eine Klientin, deren Mann ihren Kopf mit den Händen gegen ihre Spüle aus weißem Email geknallt hatte. Als ich sie am nächsten Tag im Krankenhaus besuchte, übertünchte sie gerade ihre aufgeplatzte Lippe mit Lippenstift. »Ich bin eben eitel«, hatte sie gesagt und unter ihrem blauen Auge und ihren mumienartigen Verbänden verlegen gegrinst. O ja, wir alle wollen geliebt werden.
Mickey klingelt, als ich gerade mit dem Fönen fertig bin. Er kommt mit einem Pie in einer SaveWay-Schachtel hereinspaziert.
»Ich dachte, ich hätte dir gesagt, dass meine Mutter selber backt«, empfang ich ihn – natürlich die falsche Begrüßung. Ich streiche mir glättend über meinen Rock aus rostroter Seide und versuche, neu anzusetzen.
»Darf ich dir sagen, dass du bezaubernd aussiehst?«, fragt er.
Verstohlen schiele ich zu ihm hoch. Mir gefällt, dass sein Blick auf meinen Hüften ruht, nicht auf meinen Kontaktlinsen. Er ist eben ein Mann, der das zu würdigen weiß, womit ich ausgestattet bin. Wie schade, sollte ich diesen Mann verloren haben.
»Ich habe auch den Chivas, aber ich dachte mir, dass ich ihr vielleicht noch etwas schenken sollte, das zu Thanksgiving passt«, sagt er.
»Das ist eine nette Geste. Aber sie wird ihn wegwerfen, kaum dass du aus der Tür bist.«
»Hm.«
Ich werfe einen Blick auf die Schachtel. »Warte mal kurz.«
Ich ziehe mein Adressbuch aus meiner Aktentasche und wähle die Nummer von Eleanors Wohngruppe.
»Putt, putt, putt, schöner Truthahntag!«, sagt jemand beim Abnehmen.
Eine der Mitbewohnerinnen. Sie gibt mir die Tagesbetreuerin, und als ich meinen Namen nenne, wird ihre Stimme sofort kühl.
»Warten Sie bitte«, sagt sie, dann wird der Hörer hingeknallt. Egal. Eleanor liebt Kürbis-Pie, und als ich ihr sage, dass ich ihr gleich einen vorbeibringe, brüllt sie laut vor Freude.
»Es liegt auf dem Weg zu Helen«, sage ich Mickey.
»Das spielt doch keine Rolle«, sagt er. »Es interessiert mich, zu sehen, was du so machst.«
»Geht mir genauso«, sage ich ihm. »Vielleicht nimmst du mich eines Tages mal mit ins Schlachthaus.«
Mickey lacht, und ich entspanne mich ein bisschen. Er hält mir den Mantel, und ich schlüpfe in die Ärmel. »Fertig?«, fragt er.
Ich schenke ihm ein nettes Lächeln, wie ein ganz normaler Mensch.
An den Fenstern und Türen der Cooperative Living Wohngruppe kleben Kürbisse aus Papier. Es handelt sich um ein großes Haus im Kolonialstil, das in einem Viertel mit Villen steht, von denen jede einen gründlichen Neuanstrich gebrauchen könnte. Eleanor presst ihr Gesicht gegen das größte der Fenster, wodurch Nase und Wangen flachgedrückt werden und die Augen noch auffälliger wirken. Sie stößt einen Schrei aus, als sie uns entdeckt, und eilt dann zur Tür.
»Haben Sie den Pie?«, fragt sie und reißt die Tür im Windfang auf.
Sie trägt ein gelbes Baumwollkleid, das viel zu leicht für die fast winterlichen Temperaturen ist. Sie reibt sich die Hände, während ihr Blick zwischen Mickey und dem Pie hin-und herwandert.
»Wer ist das?«, fragt sie. »Ihr Freund?« Sie reibt die Hände noch heftiger.
»Eleanor«, sage ich. »Willst du uns nicht hereinbitten?«
»Herein!«, ruft sie.
Wir betreten die Diele, in der jede Menge Schuhe stehen. Es riecht nach Truthahn und Desinfektionsmittel.
»Wo ist eure Betreuerin?«, frage ich Eleanor.
»Die sieht fern«, erwidert Eleanor.
Sie drückt die Hand einer Frau, die neben ihr steht, einer kleinen Frau um die fünfzig mit grauem Haar und wuscheligen rosa Pantoffeln.
»Das ist ihr Freund«, sagt Eleanor zu ihr und deutet mit der freien Hand auf Mickey.
»Mmm. Nett«, sagt die Frau. Ich wage es nicht, Mickey in die Augen zu sehen.
Eleanor wirft die Arme um mich und zerdrückt fast die Schachtel mit dem Pie zwischen uns. »Sie gehört mir«, sagt sie und drückt mich an sich, und ich bin an diesem Thanksgiving froh, dass ich Eleanors Zuneigung wiedergewonnen habe.
Ich stelle Mickey Eleanor und ihrer Freundin vor. Eleanor küsst Mickey auf die Wange und führt ihn ins Wohnzimmer. »Kommt mit!«, befiehlt sie, und wir gehorchen.
Der Tisch ist mit einem orangefarbenen Tischtuch aus Papier belegt. Mitten darauf thront ein Papptruthahn mit ausklappbarem, fächerartigem Schwanz. Die alte, vergilbte Tapete wärmt das Zimmer wie ein Paar schützender Hände. Ich stelle den Pie in die Mitte des Tisches und wünsche mir, ich könnte hierbleiben. Ein Thanksgiving in der Cooperative Living Wohngruppe würde mir vielleicht gut tun.
»Eleanor hat eine tolle Torte gebacken«, sagt die Frau in den Pantoffeln. »Aber Ihren Pie essen wir auch.«
»Ich hab sie ganz besonders verziert!«, sagt Eleanor, macht auf dem Absatz kehrt und eilt zur Vorratskammer des alten Hauses. Sie kommt mit einer schiefen, schichtweise gefertigten Torte mit Schokoladenguss zurück. Oben, etwas neben der Mitte, steckt ein grüner Plastik-Shrek darin. Auf seinem Kopf klebt ein Klecks Schokoguss wie ein schiefes Toupet. »Sein Lächeln gefällt mir«, gesteht Eleanor uns. »Er ist besser als ein Truthahn.«
Nach vielen Umarmungen, Schulterklopfern und Küssen sitzen wir schließlich wieder im Wagen und fahren schweigend weiter zu Helen. Ich blicke aus meinem regennassen Fenster in den schweren, grauen Himmel und sehe, wie brauner Rasen und nackte Bäume an mir vorbeifliegen. Plötzlich merke ich, wie die Tränen in mir aufsteigen. Ich drehe mein Gesicht weiter ans Fenster, doch Mickey – verdammt sei seine einfühlsame Seele – merkt trotzdem, dass ich traurig bin.
»Alles klar?«, fragt er und drückt meine Hand.
»Ja«, sage ich, doch meine Stimme ist nur ein Flüstern. »Ich glaube nur, ich wäre am liebsten da geblieben, das ist alles.«
»Und warum?«, fragt Mickey, doch ich habe das Gefühl, er weiß ganz genau warum und will nur, dass ich es laut ausspreche.
»Weil ich mich in letzter Zeit grauenhaft fühle. Wegen … allem und jedem.«
So. Jetzt habe ich ihm die Wahrheit gesagt. Als Mickey daraufhin über eine Minute lang nichts sagt, kehre ich den Spieß um.
»Wie ist denn deine kleine Besprechung mit Jane gelaufen?«
»Hast du uns denn nicht gesehen, als wir rauskamen?«, fragt er. »Ach, stimmt ja. Du und Helen, ihr seid früh aufgebrochen.«
Mein Magen zieht sich schuldbewusst zusammen. Vielleicht ist es auch Scham, der Unterschied war mir noch nie klar. Da ich mit Helen aufgewachsen bin, hatte ich nie genug Zeit, um den Unterschied herauszufinden. »Das war ein Fehler«, gestehe ich, denn ich will, dass die Sache vom Tisch ist. »Ich war immer noch wütend auf dich. Deshalb habe ich das getan.«
»Soll das heißen, Helen hat dabei mitgemacht?«
»Nein.« Ich reibe meine Arme, denn plötzlich ist mir kalt. »Ich hatte ihr nicht verraten, warum wir zu Starbucks gegangen sind. Als sie es dann herausfand, ist sie sofort davongestürmt.«
»Ha!« Mickeys Lachen überrascht mich. »Aber Jane hat nicht mitbekommen, dass du da warst, also ist es egal.«
Wir lauschen eine Weile dem Surren der Räder. Dann sage ich: »Also bist du jetzt mit deiner Scheidung ganz durch?«
»Das war ich schon. Wir hatten nur noch nicht entschieden, was wir mit dem Haus machen.«
»Und, was habt ihr gemacht?«
»Ich habe es ihr geschenkt.«
»Du hast ihr das Haus geschenkt?«
»Ja.«
Warum kommt es mir so vor, als hätte Mickey gerade einen Eimer mit kaltem Wasser über mir ausgeleert? Ich weiß, warum. Weil manche Ehemänner, auch wenn sie nur Geschäftsführer eines kleinen Supermarktes sind, ihren Frauen Häuser schenken. Weil mein Ehemann seines einfach verlassen hat. Nein, es ist noch schlimmer. Weil er einfach ein anderes mit Inga gekauft hat.
»Ich habe keine Ahnung, wie wir dieses Thanksgiving-Essen durchstehen sollen«, höre ich mich brabbeln. Meine Augen brennen, und meine Hände sind zu Fäusten geballt.
»Ist es denn so schlimm, einen ganzen Nachmittag mit mir zu verbringen?«, fragt Mickey. Er scheint zu ahnen, dass mein Ausbruch nichts mit ihm zu tun hat, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass ich mit einem Potz verheiratet war – einem Potz, mit dem ich zufälligerweise auch noch jeden vierten Donnerstag im November Truthahn gegessen habe.
Ich blicke Mickey unter meinem sorgsam aufgetragenem Eyeliner an, der inzwischen sicher verschmiert ist. »Wie oft hast du seit deiner Scheidung schon Thanksgiving gefeiert?«
»Oft genug«, sagt er. »Ich bin daran gewöhnt. Aber für dich ist es natürlich das erste Thanksgiving …« Er bricht ab. Er drückt mir die Hand. »Auch du gewöhnst dich daran.«
»Verdammt und zugenäht«, sage ich und boxe in den weichen Autositz. »Warum können die Menschen denn nicht lernen, verheiratet miteinander zu leben?«
»Die meisten können es ja …«, bemerkt Mickey.
»Und was ist dann bitte mit deiner Ehe passiert?«
Mickey blickt mit gerunzelter Stirn durch die Windschutzscheibe und sagt nichts. Das kann ich ihm nicht verübeln. Er ist mein Essensgast, und ich beschwere mich im Grunde genommen darüber, dass wir beide nicht mit unseren jeweiligen Ehepartnern essen. Ich weiß, dass ich unvernünftig bin, aber als ich diesen Truthahn mit den Papierfedern gesehen habe, hat das an meinem Herzen gezerrt wie ein Kleinkind am Rock seiner Mutter, denn ich glaube hartnäckig daran, dass manche Dinge im Leben sich nicht ändern sollten. Sie sollten es einfach nicht.
Mickey fährt jetzt langsamer und biegt auf den Parkplatz eines 7-Eleven ab. Er wendet das Gesicht von mir ab, doch ich kann den Schmerz trotzdem sehen, fast so, als käme er aus seinen Koteletten.
»Willst du das wirklich wissen?«, fragt er.
»Ja, das will ich«, sage ich.
Mickey schaltet den Motor ab und starrt geradeaus. Wir beobachten drei Jugendliche, die vor uns an ihren Limoflaschen nippen.
»Es ist keine Horrorgeschichte«, fängt Mickey an. »Niemand hat etwas Schlimmes getan.«
»Verstehe«, sage ich, obwohl ich gar nichts verstehe. Natürlich hat jemand etwas Schlimmes getan. Deshalb sind sie ja geschieden.
»Ich habe sie kennengelernt, als ich vierzehn war«, sagt er und reibt sich die Hände. »Als wir dreißig waren, hatten wir mehr als die Hälfte unseres Lebens miteinander verbracht. Wir waren wie Kinder, die zusammen aufgewachsen waren, und jetzt wollten wir aus dem Haus gehen.«
»Und was ist passiert?«
»Einer ging.«
»Wer?«
Mickey blickt hinunter in seinen Schoß.
»Ich. Auch wenn es keine Rolle spielt.«
»Natürlich nicht«, sage ich zu ihm.
»Sie war sogar erleichtert, dass einer von uns etwas unternommen hatte. Jetzt hat sie jemand anderen. Das freut mich für sie.«
Ich sehe ihn aus schmalen Augen an. »Hast du sie wegen einer anderen verlassen?«
»Nein.«
»Und das soll ich dir glauben?«
Mickey nimmt meine Hand in seine, wo ich sie lasse und wo sie leblos wie ein Stück Kohle liegen bleibt. »Du kannst glauben, was du willst«, sagt er. »Es gab keine andere, denn ich hatte dich ja noch nicht getroffen.«
Ich ziehe meine Hand zurück. »Was soll das heißen? Dass wir also nicht Schluss gemacht haben?«
Mickey lässt den Motor wieder an. »Rosie«, seufzt er, »lass uns heute einfach dieses Essen durchstehen.«
»Das wird ein Spaß«, fauche ich. »Wir beide mit unseren kaputten Ehen bekommen das Essen von einer Frau serviert, die mich mein ganzes Leben lang angelogen hat.«
Jetzt dreht sich Mickey zu mir um und sieht mich direkt an. »Rosie«, sagt er, »es geht nicht immer um Schuld.«
»Ich weiß«, antworte ich und lächle mein Feiertagslächeln. Doch mein Herz versteift sich ein bisschen, denn ich bin nicht bereit, ihm in diesem Punkt zuzustimmen.